In der JVA Gelsenkirchen lernt man sich am Fenster kennen. Das Frauen- und das Männerhaus stehen vis-à-vis – getrennt nur durch ein Fußballfeld. Viele Pärchen haben sich hier schon gefunden – wenn auch nur für kurze Zeit. Andere heiraten: Beim ersten Treffen am Hochzeittag gab es schon große Überraschungen.

Gelsenkirchen.. Ein winziger Raum mit Bett, Schrank und Schreibtisch – nebenan eine Toilettenparzelle. Das Fenster lässt sich öffnen, aber die dicken Gitter trüben jede Aussicht. Und trotzdem sind in der JVA Gelsenkirchen die Zellen im Langzeitblock mit Blick auf das Fußballfeld begehrter als andere. Denn hinter dem Ascheplatz blickt der Langzeitblock des jeweils anderen Geschlechts zurück – man lernt sich am Fenster kennen.

„Faxen“ von Zelle zu Zelle

Die Häftlinge haben einen einfachen Trick, die Entfernung zu überbrücken. Sie greifen zu ihrer Leselampe oder rollen ein Geschirrtuch zusammen, strecken diese Schreibhilfe aus dem Fenster und zeichnen große Buchstaben in die Luft. „Faxen“ nennen sie das. Einige können sogar „tackern“ – das heißt, sie faxen besonders schnell. Wer mit wem textet, ist leicht geklärt. „Sie stellen sich zum Beispiel in einer Pose ans Fenster, und wenn einer gegenüber die gleiche Pose macht, geht es los“, sagt Birgitt B. Die 46-Jährige ist wegen Beschaffungskriminalität für 22 Monate hier. Und obwohl auch sie in ihrer Zelle einsam ist und ihre Familie vermisst, dieses Faxen liegt ihr nicht. „Die Ausmaße finde ich einfach zu heftig.“ Regelmäßig kommt es zu Streit in ihrem Frauenblock, weil eine mit dem „falschen Mann“ getextet hat.

„Manche Frauen steigern sich total rein. Für Männer ist es hingegen oft nur netter Zeitvertreib“, bestätigt JVA-Abteilungsleiterin Christina Hagemann. Die Frauen wollten dann eine Beziehung mit Haut und Haar – ein Stück Normalität und Nähe, die an das Leben draußen erinnert. Doch sich treffen oder gar berühren, ist drinnen undenkbar. Nur wenn Häftlinge nachweisen können, dass es die Beziehung vor der Haft gab, können sie Besuche beantragen.

Überraschungen am Hochzeitstag

Es gibt eine Lösung: Die Fenster-Pärchen heiraten. Dann stehen ihnen theoretisch die drei bewachten Besuche pro Monat zu. Etwa zweimal im Jahr bestellt deshalb ein Knast-Paar über den Sozialdienst einen Standesbeamten in den kleinen kahlen Besuchsraum. Am Hochzeitstag, wenn man sich zum ersten Mal aus der Nähe sieht, ist die Überraschung oft groß. „Denn beim Aussehen wird im Knast genauso geflunkert wie im Internet“, verrät Hagemann. Viele Beziehungen würden nach der Freilassung schnell zerbrechen. Birgitt B. kennt aber eine frühere Mitgefangene, bei der es mit „Faxen“ begann und seit vier Jahren hält. Verbieten kann die JVA die Hochzeit nicht: Häftlinge sind geschäftsmündig.

Generell wird der Kontakt durch die Gitter-Fenster mit gemischten Gefühlen beobachtet. „Etwa drei Monate braucht man, bis man die Schrift lesen kann“, schätzt Christina Hagemann. Kein Mitarbeiter hat Zeit, sie richtig zu lernen. Dabei müsse man wissen, ob man irgendwo eingreifen sollte: Es gibt Gefangene, die sich plötzlich weigern, zur Therapie zu gehen. Manche bleiben alleine in ihrer Zelle, weil sie lieber mit dem Unbekannten chatten, als mit den Frauen aus ihrem Haus reden. Manche geben sich auf, werden depressiv. „Wir hatten eine Frau, die hat den ganzen Tag hinaus gebrüllt“, erinnert sich die Abteilungsleiterin. Sie bekam dann eine Zelle, von der aus sie das Männerhaus nicht sehen konnte. Nach so einer Verlegung bleibt nur noch die Hauspost.

Vollzugsbeamte kontrollieren Post

In einigen Zellen stapeln sich bunt geschmückte Liebesbriefe. Hier räkelt sich eine nackte Teufelin auf dem Umschlag, dort zieren Ornamente aus lila Lack ein „Ich liebe dich“. „Vermutlich bei der Arbeit in der Werkstatt gemacht“, sagt Hagemann. Ganze Haufen sehen die Vollzugsbeamten täglich durch und reichen sie dann in die Zellen weiter. Genau gucken sie nur hin, wenn eine Gefangene aufgefallen ist, depressiv oder aggressiv wurde. „Oft kriegt man schon beim Querlesen rote Ohren . . .“.

An diesem Morgen liegt wieder ein Haufen Post auf ihrem Tisch. Ein Brief fällt auf: „Ehrlich mein Schatz und das kommt auch von Herzen ,ja’“, steht da in Schönschrift mit blauer Tinte. Beantragt ist diese Hochzeit aber noch nicht.