Wer eine Strafe nicht zahlen kann, kommt ins Gefängnis. So einfach ist das, und so problematisch ist das in der Realität. Denn betroffen von diesen sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen sind nicht selten relativ arme Menschen, die Bußgelder beispielsweise für das Schwarzfahren nicht bezahlen (können). Nicht zuletzt deshalb ist dieses System daher seit Langem umstritten. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), diese Strafen zu halbieren, wird vielfach begrüßt, auch von der JVA Gelsenkirchen.

543 Gefangene verbüßten in der JVA Gelsenkirchen 2022 eine Ersatzfreiheitsstrafe In der Haftanstalt an der Aldenhofstraße in der Feldmark saßen zuletzt sehr viele Menschen, die eine solche Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten. „Im Vollstreckungsjahr 2022 waren es 543 Gefangene“, wie JVA-Sprecher Roman Stöckl weiß. Und bis zum 15. Januar dieses Jahres waren es auch schon wieder insgesamt 35 Insassen mit einer solchen Strafe.

Bei einer offiziell angegebenen Haftkapazität von 440 Männern und 118 Frauen im geschlossenen Vollzug sowie 62 Frauen im offenen Vollzug kann man sich ausmalen, wie es um die Auslastung der Haftanstalt bestellt ist, immerhin sitzen dort auch Verurteilte mit langjährigen Haftstrafen aufgrund schwerer Verbrechen.

Ersatzfreiheitsstrafen: Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr

Die JVA Gelsenkirchen aus der Luft.
Die JVA Gelsenkirchen hat eine Haftkapazität von 440 Männern und 118 Frauen im geschlossenen Vollzug sowie von 62 Frauen im offenen Vollzug.
© Hans Blossey

Volle Gefängnisse sind eine der Folgen aus solchen Ersatzfreiheitsstrafen, hohe Kosten die andere. Auch für den Staat ist das keine gute Lösung, denn Ersatzfreiheitsstrafen kosten viel Geld, statt es einzubringen. Ein Gefangener in NRW hat das Land 2021 im Schnitt 178,91 Euro pro Tag gekostet. 2015 waren es noch 133,55 Euro. Das geht aus einer Unterlage des Justizministeriums für den Landtag hervor. Und schon vor vier Jahren hatten nach Bundesangaben die Aufwendungen für solche Ersatzfreiheitsstrafen die 200 Millionen-Euro-Marke durchbrochen. Tendenz: steigend, besonders in Zeiten der Inflation.

Legt man eine Verweildauer von durchschnittlich nur 20 Tagen zugrunde, so entfielen allein zwei Millionen Euro an Kosten, die die eingangs erwähnten 543 Gefangenen in Gelsenkirchen im Jahre 2022 verursacht haben. JVA-Sprecher Roman Stöckel dazu: „Leider gibt es keine Statistik zur Verweildauer, ich kann aber sagen: Wir haben hier eine Bandbreite von fünf bis 120 Tagen.“

Zur Einordnung der Dimensionen: Dem Bundesjustizministerium zufolge befanden sich in Deutschland 2891 Menschen Ende Juni 2021 in Ersatzhaft“, Ende Juni des vergangenen Jahres „waren es 4411“.

Eine Ersatzfreiheitsstrafe muss absitzen, wer die Tagessätze seiner Geldstrafe nicht bezahlen kann. Das Risiko, inhaftiert zu werden, ist dadurch für Arme größer als für Reiche. Die einen überweisen die Strafe, die anderen leben schon am Existenzminimum und müssen deshalb je nach Strafe für zehn, 20 oder mehr Tage ins Gefängnis, für jeden Tagessatz einen. Ein Tagessatz orientiert sich an den Nettoeinkünften je Tag des Verurteilten. Bei Nichtzahlung gilt bisher, dass ein Tagessatz einem Hafttag entspricht.

Chefin der JVA-Gelsenkirchen: Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe guter erster Schritt Nun steht eine Änderung an: Wer eine Geldstrafe nicht zahlt, soll dafür künftig nur noch halb so lange ins Gefängnis müssen. Das steht im Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), den das Kabinett beschlossen hat. Der Entwurf des Gelsenkircheners sieht vor, dass ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe künftig nicht mehr einem, sondern zwei sogenannten Tagessätzen entsprechen soll. Der Gelsenkirchener sagt dazu: „Seit vielen Jahren haben Fachleute kritisiert, dass der Gegenwert von sechs bis acht Stunden Erwerbsarbeit, die etwa einem Tagessatz Geldstrafe entsprechen, und 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe nicht zusammenpassen. Wir legen eine historische Reform der Ersatzfreiheitsstrafe vor.“

Leiterin der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen Elisabeth Nubbemeyer
Die Juristin Elisabeth Nubbemeyer ist seit Mai 2016 Leiterin der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen
© FFS | Foto: Martin Möller

Auch Elisabeth Nubbemeyer, Leiterin der JVA Gelsenkirchen, begrüßt dieses Vorgehen: „Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe wäre aus meiner Sicht ein erster guter Schritt.“

Ersatzfreiheitsstrafen sollen qua Koalitionsvertrag möglichst vermieden werden. Deshalb hat der Gesetzgeber Möglichkeiten geschaffen, die Strafe anderweitig zu begleichen, wie Elisabeth Stöve, Richterin und Pressesprecherin des NRW-Justizministeriums, erklärt. „Etwa durch gemeinnützige Arbeit“, so die Sprecherin. Gerichtshilfen bemühten sich zudem gemeinsam mit den Verurteilten, Tilgungsmöglichkeiten auszuloten, beispielsweise lassen sich Ratenzahlungen vereinbaren. 2020 sind im Zusammenhang mit Ersatzfreiheitsstrafen so insgesamt in NRW 23.889 Vollstreckungsfälle aufgelaufen.

Geldverwaltung statt Vollstreckung – Caritas Gelsenkirchen hilft Betroffenen Das Problem: Nicht selten kommen von solchen Strafen betroffene Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, sie sind so weit von einem normalen Alltagsleben entfernt, „dass Post nicht geöffnet, Anrufe nicht angenommen oder selbst auf Whatsapp-Nachrichten der Gerichtshilfe nicht geantwortet wird“, berichtet Stöve über ihre Erfahrungen. Am Ende bleibe dann nur noch der Haftantritt, um die Schuld zu begleichen.

Es gibt (daher) noch andere Alternativen, um seine Schuld zu begleichen. Stichwort: Geldverwaltung statt Vollstreckung. Anlaufstellen wie die Caritas Gelsenkirchen ermitteln gemeinsam mit dem oder der Verurteilten eine Ratenhöhe, die die Betroffenen nachhaltig tragen können. Diese Rate schlagen sie der Staatsanwaltschaft zur Zahlung der Geldstrafe vor.

„Der oder die Verurteilte tritt zur Gewährleistung einer erfolgreichen Ratenzahlung seine Einkünfte ab – in der Regel sind das die Ansprüche auf Sozialleistungen“, wie der Gelsenkirchener Caritas-Direktor Peter Spannenkrebs erklärt. Die Zahlung der Raten erfolge dann über die Anlaufstellen. Genaue Zahlen, wie viele Menschen und Fälle die Caritas hier dazu betreut, konnte die Caritas bislang aber noch nicht nennen.