Gelsenkirchen. Jailhouse Rock in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen: Warum es im Knast ein Rockkonzert für Gefangene gibt - sonntagmorgens um 9 Uhr.

Ihr Equipment haben sie schon in unterschiedlichsten Räumen aufgebaut, aber in einer Turnhalle in einer Justizvollzugsanstalt haben sie zuvor noch nie gespielt. Eine Premiere für die Männer der Dortmunder Band Dandelion - und auch eine für die meisten Inhaftierten und Justizvollzugsbediensteten. Denn im Gelsenkirchener Knast hat es seit Jahren kein solches Event mehr gegeben. Und so sind sie an diesem Sonntagmorgen alle ein bisschen aufgeregt und fragen sich, wie wird es ankommen - das Rockkonzert für verurteilte Straftäter, sonntagmorgens ab 9 Uhr?

Der Soundcheck ist absolviert. Es hallt in der Turnhalle mit dem Kuppeldach, in der für gewöhnlich Bedienstete und auch Inhaftierte Fußball oder Volleyball spielen. Eine saubere Akustik steht heute aber ohnehin nicht im Vordergrund, wenngleich die ehrenamtlich spielenden Dandelions auch hier ihr Publikum möglichst gut unterhalten wollen. Und so viel sei an dieser Stelle schon verraten: das wird ihnen gelingen, wenn auch sehr unterschiedlich.

In der Turnhalle des Gelsenkirchener Gefängnisses spielen Dandelion vor Inhaftierten.
In der Turnhalle des Gelsenkirchener Gefängnisses spielen Dandelion vor Inhaftierten der JVA Gelsenkirchen.
© FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Zuerst kommen die Männer aus den Blöcken A, B und C nacheinander in die Halle, nehmen Platz auf der Zuschauertribüne, die aber größtenteils leer bleibt. Etwa 50 Inhaftierte nehmen das Konzertangebot wahr, der weitaus größere Teil der einsitzenden Männer bleibt in seinen Zellen. „Die Teilnahme ist freiwillig“, resümiert Michael Lülf. Der stellvertretende Leiter des Strafvollzugsdienstes hatte die Konzertidee und den Kontakt zur Band hergestellt. Lülf hätte es gerne gesehen, wenn sich mehr Inhaftierte diese Abwechslung vom Gefängnisalltag gegönnt hätten, doch jetzt ist er erstmal gespannt, wie das Konzert bei denen ankommt, die da sind.

Die Stimmung ist gelassen, anfangs vielleicht ein bisschen zu cool. Die Männer wollen sich Emotionen ganz offensichtlich nicht anmerken lassen. Doch mit der Zeit traut sich der eine oder andere zum Takt zu klatschen, mancher Fuß wippt auf und ab. Der junge Mann aus Zellentrakt C hingegen ist schon ab dem ersten Song („Fertig“ von Westernhagen) begeistert dabei. Er klatscht, jubelt, hat sichtlich gute Laune. „Das ist zwar nicht meine Musik, aber ich finde es super. Eine Abwechslung, mal was anderes. Das macht Spaß. Scheiße gibt es genug. Deswegen ist schon geil, dass die Chefin das macht“, sagt der Mann, der nach eigenen Angaben seit einem Jahr wegen versuchten Mordes einsitzt und noch drei Jahre vor der Brust habe.

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In der Turnhalle der Gelsenkirchener JVA - Anstaltsleiterin Elisabeth-Nubbemeyer.
© FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Mit „Chefin“ ist Elisabeth Nubbemeyer gemeint, Anstaltsleiterin der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen mit ihren 450 Frauen und Männern und den etwa 330 Angestellten. Natürlich will sich Nubbemeyer dieses Highlight in ihrer Anstalt nicht entgehen lassen und nimmt Platz in der ersten Reihe auf der Tribüne. Nur eine Handvoll Männer und Frauen in Uniform beobachten die Gefangenen während des Konzerts. Mehr sind auch nicht nötig. Mit Szenen aus amerikanischen Filmen und Serien hat das hier wenig zu tun, wenngleich Gewalt — hauptsächlich aber unter Gefangenen — auch in der JVA Gelsenkirchen gelegentlich vorkommt.

Von brutaler Stimmung sind die schweren Jungs, die allerlei Straftaten auf dem Kerbholz haben, an diesem Sonntagmorgen aber weit entfernt. Und als die Band „Westerland“ von den Ärzten anstimmt, singt so mancher Inhaftierte dann auch mit, der zuvor keine Miene verzogen hat: „Oh, ich hab‘ solche Sehnsucht. Ich verliere den Verstand. Ich will wieder an die Nordsee. Ich will zurück nach Westerland“…

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Hafthaus der JVA Gelsenkirchen
© FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Zurück geht es für die Männer nach etwas mehr als einer Stunde aber erstmal nur in die Zellen. Am Nachmittag ist nochmal Umschluss, dann dürfen sich die Gefangenen gegenseitig in ihren Zellen besuchen, ehe die Riegel wieder in die Schlösser fallen und ein weiterer Tag im Gefängnis in der Feldmark verstreicht.